Veröffentlicht:

Zuletzt aktualisiert:

Lesezeit:

circa 7 Minuten

Künstliche Intelligenz in der Produktion: Wohin geht die Reise? Ein Interview mit Dr.-Ing. Frank Lennings vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V.

Viel wurde bereits über die industriellen Revolutionen geschrieben und die Möglichkeiten und Auswirkungen der digitalen Transformation erleben wir mit. Denn die Entwicklung des Computers und dessen Einführung in die Arbeitswelt haben tiefgreifende Veränderungen nach sich gezogen. Steht mit der künstlichen Intelligenz (KI) nun bereits die nächste Revolution vor der Tür?

Mitarbeiter programmiert Produktionsroboter

Am ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V. in Düsseldorf wird intensiv in Bereichen Industrie 4.0, Digitalisierung, moderne Arbeitswelten, Nachhaltigkeit und dergleichen geforscht und Grundlagenwissen erarbeitet. Dabei stehen neben der Theorie auch die praxisnahe Projektarbeit sowie fachlich fundierte Beratung im Fokus.

Produktionsprozesse und Fertigungsmanagement in Umbruch

Zum großen Themenkomplex moderner Arbeitsmodelle und mobilen Arbeitens konnten wir bereits mit ifaa-Experte Dipl.-Päd. Sven Hille sprechen. Für die aktuelle Fragestellung steht Dr.-Ing. Frank Lennings als Spezialist bereit – herzlichen Dank, Herr Lennings.

Steigen wir direkt mit einer grundsätzlichen Frage ein: Wie ordnen Sie das Potential von KI-Modulen und -Anwendungen im Kontext der industriellen Fertigung ein? Und an welchem Punkt stehen wir aktuell?

Frank Lennings: Wir stehen aktuell noch am Anfang einer Entwicklung, die das Potential für eine Revolution in der industriellen Fertigung hat. In welchem Umfang und mit welcher Dynamik sich dieses Potential jedoch tatsächlich entfalten wird, ist derzeit nicht seriös prognostizierbar. Vieles spricht dafür, dass dies ähnlich wie bei der Industrie 4.0, nicht revolutionär, sondern evolutionär erfolgen wird. Viele Unternehmen können den Nutzen und potenzielle Einsatzbereiche für KI im Betrieb noch nicht überblicken. Es mangelt Ihnen – ähnlich wie zu Beginn der inzwischen seit 10 Jahren evolutionär verlaufenden 4. Industriellen Revolution – an konkret nachvollziehbaren betrieblichen Beispielen und offenen Erfahrungsberichten. Deshalb sind viele Unternehmen noch keine Akteure, sondern aufmerksame Beobachter.

Die Idee hinter der künstlichen Intelligenz ist schon ein paar Jahre bzw. Jahrzehnte alt, jedoch scheiterten Umsetzungsversuche zumeist an der Rechenleistung alter IT-Systeme. Diese scheinen nun behoben zu sein, sodass man meinen könnte, die KI sollte raketengleich alle Bereiche unserer Lebens- und Arbeitswelten erreichen. Ist dem so oder gibt es weiterhin – große, aber auch kleinteilige – Hürden und Probleme?

Frank Lennings: Rechenleistung ist zwar eine notwendige Voraussetzung, aber nur einer von vielen Katalysatoren, die den Einführungsprozess beeinflussen. In Verbindung mit Industrie 4.0 wurde oft argumentiert, jetzt haben wir endlich die Rechenleistung um Computer-Integrated-Manufacturing (CIM) umzusetzen, dass in den 1990er Jahren „steckengeblieben“ ist. Hier führte mehr Rechenleistung nicht zu einer „raketengleichen“ Entwicklung.
Hürden für den Einzug der KI in die Unternehmen sind derzeit Ängste, fehlendes Bewusstsein für Einsatzmöglichkeiten, schwer kalkulierbarer Einführungsaufwand bei ungewissem Ergebnis, fehlende bekannte Standardanwendungen, fehlendes Fachpersonal, Ungewissheit bzgl. erforderlicher Kompetenzen und Datenschutzanforderungen sowie fehlender oder unkomfortabler Zugang zu zuverlässigen Daten. Keine dieser Hürden ist unüberwindbar. In ihrer Gesamtheit sind sie jedoch derzeit noch ein „Klotz am Bein“.

In der Presse war zu lesen, dass einige Unternehmen ihre Produktionsstätten zurück nach Deutschland verlegen und dabei voll auf smarte und KI-basierte Produktionen setzen. Dies stärkt zwar den Standort Deutschland, erzeugt aber nicht unbedingt viele neue Arbeitsplätze. Ist KI generell eine Gefahr für Fachkräfte und Produktionsmitarbeiter?

Frank Lennings: Der Trend zu Rückverlagerungen bzw. sorgfältig reflektierten Verlagerungen war erfreulicherweise schon zu beobachten, bevor Digitalisierung und KI in den Fokus rückten. Sie können diesen Trend fördern. KI ist auch deshalb keine generelle Gefahr für Fachkräfte und Produktionsmitarbeiter, sondern eine Chance, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und deren Arbeitsplätze langfristig zu sichern. Allerdings müssen wir zum Teil noch lernen, diese Chance souverän zu gestalten und zu nutzen.
Viele blicken skeptisch oder gar ängstlich auf die Entwicklung betrieblicher KI-Anwendungen. Die Sorge, dass Technik menschliche Arbeit substituiert, ist so alt wie die Arbeitswelt. Ende der siebziger Jahre wurde befürchtet, dass Computer und Mikrochips in den nächsten 20 Jahren 80 % der Arbeitsplätze in Deutschland vernichten werden. Tatsächlich ist die Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland trotz stetig voranschreitender Digitalisierung seitdem fast kontinuierlich gewachsen. Natürlich waren Aufgaben und Arbeitsinhalte dabei im Wandel und bleiben es weiterhin. Manche wurden teilweise oder vollständig substituiert – selten jedoch ganze Berufe. Wir haben die Chance, KI so zu implementieren und zu nutzen, dass sie dem Menschen assistiert und ihn nicht ersetzt. Unter den Bedingungen des demographischen Wandels könnte es sich als nützlich erweisen, Mitarbeiter von sich wiederholenden Routinen zu entlasten und die Potentiale des Menschen für Aufgaben zu nutzen, die nur er bewältigen kann.

Können Sie Beispiele benennen, bei denen KI-Anwendungen erfolgreich in Fertigungsprozesse eingebunden wurden? Wie verlaufen solche Projekte normalerweise?

Frank Lennings: Verbreitet und erfolgreich umgesetzt sind KI-Anwendungen zur Bilderkennung, bspw. im Bereich der Qualitätsprüfung. Diese werden oft gar nicht als KI-Anwendungen wahrgenommen, vielleicht weil sie lokal abgegrenzt sind. Auch im Bereich der Robotik eröffnet die Bilderkennung neue Möglichkeiten, v. a. für die autonome und situationsadäquate Bewegung von Robotern aller Art. Für die Zustandsüberwachung von Anlagen wird KI ebenfalls zunehmend erfolgreich eingesetzt.
Andere KI-Anwendungsbereiche sind die Beschleunigung und Verbesserung von Planungen und Abläufen in den Bereichen Produktion, Personaleinsatz, Ergonomie, Finanzen, Supply Chain, betrieblicher Transport, Logistik oder Personal. Konkrete Fallbeschreibungen hierzu sind rar und die betrieblichen Fallzahlen nicht zuverlässig bekannt. Typische Einführungsprojekte und -routinen gibt es unter diesen Umständen noch nicht. Die Bandbreite der Projekte reicht von der Bilddatendatenbereitstellung für das Training optischer Kontrollsysteme auf der Plattform des Herstellers bis hin zu interdisziplinären und extern unterstützten betrieblichen Projekten, die einen Aufwand erfordern können, der für viele Unternehmen eine „mutige Investition“ in die Zukunft bedeutet.

Die Grundlage einer künstlichen Intelligenz ist ja zum einen der Algorithmus, zum anderen eine große und gut strukturierte Datenbasis – hier sind in erster Linie Manufacturing Execution Systems (MES) zu nennen. Welche weiteren bestehende IT-Lösungen können von KI-Modulen profitieren und wo wird dies eventuell bereits angewendet?

Frank Lennings: MES-Systeme können detailliertere und aktuellere betriebliche Daten für KI-Anwendungen bereitstellen als ERP-Systeme. Sie sind allerdings bei weitem nicht in allen Betrieben verfügbar. Außerdem eignen sich Daten aus MES-Systemen vorrangig für KI-Anwendungen im Produktionsbereich.

Für Anwendungen in den anderen, vorhin bereits angesprochenen Unternehmensbereichen, können grundsätzlich alle dort eingesetzte IT-Lösungen Daten bereitstellen. Das ließe sich v. a. mit einer ausgeprägten horizontalen und vertikalen Vernetzung komfortabel unterstützen. Allerdings besteht auch nach 10 Jahren auf dem Weg zur Industrie 4.0 in vielen Betrieben noch umfassender inner- und überbetrieblicher Vernetzungsbedarf. Der Datenbedarf der KI kann sich förderlich auf die Vernetzung sowie die Datenerfassung und -bereitstellung auswirken. Mehr Vernetzung würde aber auch ohne KI-Anwendungen für Produktivitätsgewinne durch mehr betriebliche Transparenz und ein verbessertes Informationsmanagement sorgen.

© ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.

Herr Dr. Lennings, herzlichen Dank für Ihre Zeit und das informative Gespräch. Geben Sie uns doch zum Abschluss einen ganz persönlichen Ausblick auf die künstliche Intelligenz in der Produktion.

Frank Lennings: Digitalisierung und die sogenannte „weiche KI“ für konkrete Anwendungsprobleme können uns helfen, Produktion am Hochlohn-Standort Deutschland zu sichern. Wir müssen diese Möglichkeit selbstverständlicher nutzen als bisher. Dafür brauchen wir u. a. mehr standardisierte Anwendungen, mit denen Unternehmen KI-Lösungen eigenständig und mit definiertem Aufwand etablieren und entwickeln können. Unternehmen und Ihre Mitarbeiter brauchen einen niederschwelligen Zugang zu KI-Anwendungen und müssen damit experimentieren können, um einen wirtschaftlichen und selbstverständlichen Einsatz zu erreichen und Ängste abzubauen.

Wir müssen dabei immer darauf achten, dass KI-Anwendungen nicht zur Black Box werden. Es muss nachvollziehbar bleiben, wie Ergebnisse zustande kommen, damit wir uns nicht versehentlich selbst zu Idioten machen. Wir müssen die Ergebnisqualität von KI-Algorithmen immer genau so zuverlässig und sicher beurteilen können, wie im Falle der Bilderkennung.

Die sogenannte „Harte KI“, die situationsunabhängig autonom agieren kann, gibt es momentan noch nicht. Bevor wir diesen „Geist aus der Flasche lassen“, sollten wir uns gut überlegen, ob wir ihn brauchen und wollen. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass wir ihn nicht brauchen.

Mehr zum Thema KI in der Produktion finden sie auf dem Blog der GFOS mbH und auf der Homepage des ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V.. Schauen Sie gerne auch in den Blog unseres KI-Partners aiXbrain. Dort finden sie u.a. ein interessantes Interview mit Dr. Alexander Engels zum Thema „Vorausschauende Instandhaltung mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz“.

Lassen Sie sich individuell beraten

Die digitale Transformation stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen, weil neben der praktischen Einführung digitaler Fertigungsmanagementsysteme auch das Aufbauen der benötigten IT-Infrastruktur bevorsteht. Die Experten beim Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V. in Düsseldorf bieten Unterstützung und Material für die soziotechnische Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Darüber hinaus helfen Ihnen selbstverständlich auch die MES- und IT-Spezialisten der GFOS mbH bei der Umsetzung Ihres Digitalisierungsprojektes. Nutzen Sie einfach unser Kontaktformular und vereinbaren Sie ein kostenfreies Beratungsgespräch zu Ihrem Wunschtermin.

Schlagwörter:

Beiträge
Ähnliche Beiträge
Rufen Sie uns an

+49 . 201 • 61 30 00

Schreiben Sie uns

Zum Kontaktformular

Rufen Sie uns an

DE: +49 . 201 • 61 30 00

CH: +41 . 41 • 544 66 00

Schreiben Sie uns

Zum Kontaktformular

Zurück zum Seitenanfang